Die Deutschen sterben aus

zur Sendung "quer" des bayerischen Rundfunks zum Thema Bevölkerungspolitik in Deutschland

18 Jul 2009

«Sterben die Deutschen aus? - Bevölkerungsschwund dramatischer als erwartet» - mit dieser provokanten Überschrift näherte sich das bayerische Fernsehen in der Sendung «quer» dem Thema Überbevölkerung, allerdings von einem ungewöhnlichen Standpunkt heraus. Die deutsche Frau bringe nach einer noch unveröffentlichten UNO-Studie im Schnitt nur noch 1,4 Kinder zur Welt, so dass ein dramatischer Bevölkerungsrückgang um mehr als neun Millionen Menschen innerhalb der nächsten 50 Jahre zu erwarten sei. Um das Wirtschafts- und Arbeitsleben zumindest auf dem heutigen Niveau halten zu können, bedürfe es jährlich einer halben Million Zuwanderer. Bereits im Jahr 2050 steige der Anteil der Menschen über 60 Jahre auf mehr als 60%. Dies habe fatale Auswirkungen auf das deutsche Rentensystem, und in indirekter Folge bliebe der empfindliche Wirtschaftskreislauf auf der Strecke. Während heute vier Arbeitskräfte einen Rentner ernährten, käme im Jahr 2050 auf jeden Rentner nur noch eine Arbeitskraft. Die wirtschaftliche Belastung für den deutschen Durchschnittshaushalt wachse dramatisch an und führe früher oder später unvermeidlich zum Kollaps.

Na endlich! Selten wurde die Fehlbarkeit des in vielen Ländern der Erde angewendeten Rentensystems auch für den Normalbürger äusserst anschaulich erläutert - leider mit einer ähnlich anschaulichen, aber gefährlich falschen Schlussfolgerung. Hr. Prof. Birg, Bevölkerungsexperte der Universität Bielefeld, riet der deutschen Familie zu mehr Bevölkerungsbewusstsein, denn schliesslich habe die Kinderpolitik einer Familie umfassende Auswirkungen auf den Staat und dessen System im Ganzen. Dem ist sicher nichts entgegenzusetzen. Was er damit aber in Wahrheit elegant umschrieb, ist der ernstgemeinte Rat und seines Rätsels Lösung, doch bitte mehr Kinder in die Welt zu setzen, denn dann sei das Rentensystem gerettet.

Betrachtet man diesen Lösungsansatz genauer, dann wird seine Unzulänglichkeit und Kurzsichtigkeit offensichtlich. Die von Hr. Prof. Birg vorgeschlagene Strategie gleicht der verzweifelten Rettung eines untergehenden Bootes, das man mit mehr Menschen besetzt, um schneller das eindringende Wasser ausschöpfen zu können.

Man könnte meinen, es handle sich um eine weitere Geschichte der Schildbürger, denen man das oben genannte Vorgehen ohne Zweifel und mit einem Schmunzeln im Gesicht zutrauen würde. Leider sieht die Realität jedoch ganz anders aus, denn es sind Professoren und Bevölkerungsexperten, die die Masse Mensch mit derart paradoxen Ratschlägen beglücken.

Das Rentensystem funktioniert nur so lange, wie das Bevölkerungswachstum anhält. Selbst eine konstant gleichbleibende Bevölkerungszahl verunmöglicht ein System, in dem junge Menschen die alten zu ernähren haben. Tritt nämlich ein Wachstumsstopp ein, dann verschiebt sich das Ernährungs- und Unterstützungsverhältnis aufgrund der Zunahme alter Menschen. Und je mehr alte Menschen Teil einer Gesellschaft sind, desto mehr junge braucht es nach herkömmlichen Rentensystemen, um sie zu ernähren. Das allerdings bedeutet wiederum Bevölkerungswachstum. Der Massstab für ein Funktionieren des heutigen Renten- und auch Wirtschaftssystems ist also das beständige Wachstum der Masse Mensch.

Diese Tatsache birgt in sich ein grosses und grundlegendes Problem: Die Bevölkerungszahl kann nicht unendlich lange anwachsen, denn viele Faktoren begrenzen deren Wachstum:

1. Der Globus ist nicht aufblasbar und der physikalisch vorhandene Platz ist beschränkt. Selbst wenn man diese Diskussion im Sinne von «nach mir die Sintflut» gerne der nächsten oder übernächsten Generation überlassen würde, ist sie nicht von der Hand zu weisen.
2. Mit jedem weiteren Menschen steigt die Nachfrage für Energie - eine Diskussion, die zwar leicht mit dem Vorschlag zu umgehen ist, in jedem Dorf einfach ein Atomkraftwerk aufzustellen, doch ist dies ein Gedanke, der gleichzeitig auch die ganze Problematik offenbart.
3. Jeder Mensch verlangt nach Existenzgrundlagen. Doch auch Nahrung, Wasser und Wohnraum sind endlich, also begrenzt. Hartgesottene Anhänger der kurzsichtigen These, dass sämtliche Hungerprobleme der Welt reine Verteilungsprobleme darstellten, mögen sich darüber nochmals Gedanken machen, wenn es nichts mehr zu verteilen geben wird. Die Diskussion über mangelnden Wohnraum ist tatsächlich noch einige Zeit aufschiebbar. Schliesslich existieren genug platzverschwendende Dörfer, die leicht durch rationellere Grosswohneinheiten zu ersetzen sind.
4. Jeder Mensch der Industriestaaten verlangt nach Luxusgütern, die ebenfalls endlich, also begrenzt sind. Spätestens wenn in den Verkehrsmeldungen nicht mehr die Staus und Behinderungen, sondern die noch befahrbaren Strassen genannt werden, sollte die Frage gestellt werden, wie viele Autos denn auf der Erde eigentlich Platz haben. Ideen zum Bau von Sauerstoffabriken, denn diese werden dann nötig sein, können dem Film «Die Zeitmaschine» von H. G. Wells entnommen werden.

Dies sind nur ein paar wenige Beispiele, die die Problematik einer unaufhörlich anwachsenden Bevölkerung verdeutlichen. Das beständige Wachstum der Bevölkerung wird eines Tages einen Scheitelpunkt der Menschenwürde erreichen, der unweigerlich die Frage aufwerfen wird, welche Umwelt- und Lebensbedingungen noch als menschenwürdig gelten. Ab wann und ab welcher Anzahl Menschen sollte man anfangen, das Problem Überbevölkerung zu lösen? Ab 6 Milliarden, ab 10 Milliarden, ab 20 Milliarden? Den Zeitgenossen, die diese Frage ebenfalls der nächsten Generation überlassen möchten, sei an dieser Stelle der Besuch eines Drittweltlandes empfohlen. Dort findet man genügend Kinder, die diese Frage unmissverständlich und ohne Gebrauch eines einzigen Wortes beantworten können.

Aber noch ist es ja nicht unser Problem.

Das unaufhörliche Wachstum der Masse Menschheit ist einerseits verheerend, andererseits hängen offensichtlich viele Wirtschafts- und Rentensysteme davon ab. Daraus aber den äusserst gewagten und zudem nationalistisch geprägten Ratschlag zu entwickeln, dass die deutschen Familien mehr Kinder in die Welt zu setzen hätten, grenzt - bei allem Respekt, Hr. Prof. Birg - an Verantwortungslosigkeit gegenüber der ganzen Menschheit und zeugt zudem von einer Kurzsichtigkeit, die eines Menschen, der den Titel eines Professors trägt, nicht im mindesten würdig ist. Der nächste Schritt wäre, die Alten der Gesellschaft höflich zu bitten, doch ein paar Jahre eher zu sterben.

Der Mensch mit seinen Gesetzen hat mit der Natur und nicht gegen sie zu leben. Wenn die aktuelle Lage, also der scheinbar dramatische Bevölkerungsschwund, wie auch eine Bevölkerungsexplosion, das bewährte Rentensystem untergräbt, dann muss das Rentensystem der aktuellen Lage angepasst werden, nicht umgekehrt. Oder wechselt man die Strasse, wenn ein Autoreifen platzt?

Vorschläge für funktionierende Rentensysteme haben Experten schon zur Genüge ausgearbeitet. Sie stützen sich allesamt auf die Selbstverantwortung der Bürger eines Staates gegenüber ihrem eigenen, zukünftigen Lebensabend.
Die deutsche Durchschnittsfamilie scheint mehr von Bevölkerungspolitik zu verstehen als studierte Bevölkerungsexperten, wie Hr. Prof. Birg, der seinen Aufruf mit den Worten schloss: «Die Politik verschläft eines der gravierendsten Probleme der nächsten Jahrzehnte».

Wenn Sie wüssten, wie recht Sie haben.