Brief eines Sohnes

letzter Brief an eine Mutter

18 Jul 2009

Liebe Mutter,

die Schlacht hat begonnen. Tausende und Abertausende schwer bewaffneter Soldaten marschieren direkt auf uns zu. Über viele Meilen hören wir das unheimliche Donnergrollen ihrer schweren Geschütze. Dunkler Rauch steigt am Horizont auf und mischt sich mit den roten Strahlen der aufgehenden Sonne. Sie brennen alles nieder.
Ich habe nicht viel Zeit. Sie werden noch zur Abenddämmerung vor unseren Toren stehen. Stell Dir vor: Achthundert Mann gegen über zehntausend! Niemand weiss, ob es die erste oder die letzte Schlacht sein wird.
Wir sind auf uns allein gestellt. Unsere wenigen Verbündeten sind vernichtet oder zu weit weg. Ergeben wir uns, liesse der Feind niemanden am Leben. Fliehen können wir nicht. Wir sitzen in der Falle. Jeder hat Befehl zu kämpfen; bis zum letzten Mann. Die Augen meiner Kameraden sind leer – oder voller Angst. Niemand glaubt an einen Sieg. Niemand hat Hoffnung. Wer könnte im Angesicht dieser Hölle zuversichtlich sein! Disziplin hält unsere Körper aufrecht. Die letzten Vorbereitungen müssen getroffen werden. Wie Maschinen laufen Soldaten im strömenden Regen hin und her – sie funktionieren und rüsten sich dabei, als gäbe es kein Morgen...

Es mag verrückt klingen und vielleicht bin ich es bereits, aber, liebe Mutter, dennoch ist alles gut. Selbst in Erwartung dieses nahenden, grauenvollen Schreckens, der wahrscheinlich meinen Tod und den vieler Menschen bedeuten wird, weiss ich, dass es in dieser Welt etwas Gutes geben muss. Denn ohne Licht gäbe es keine Schatten. Wütenden Hass erleben wir, weil wir die Liebe kennen. Beides scheint sich gegenseitig zu bedingen. Das eine lebt durch das andere. Und wenn ich an das Gute denken kann, dann muss es auch existieren! Mutter, dies ist keine lose Hoffnung, sondern die tiefe Gewissheit, dass Wahrheit, Liebe und Weisheit stets siegen müssen. Nicht irgendwann oder ein anderes Mal. Unsere Gedanken erschaffen die Welt – was auch immer geschehen mag – hier und jetzt!

Sicher hofftest Du auf beruhigendere Worte, aber was könnte ich in diesen Stunden anderes schreiben als die bittere Wahrheit!

Lebe wohl,
in Liebe, dein Sohn.